Krisen, Katastrophen und Seuchen gab es in der Geschichte der Menschheit immer. Sie waren oft lokal begrenzt. Die derzeitige Pandemie unterscheidet sich davon in ihrer globalen Dimension. Wir leben in einer vernetzten Welt.
Weltweite Kommunikation, Reisen, Handel und Austausch betreffen die ganze Menschheit. Auch die Ausbreitung des Coronavirus geschah als Folge unserer globalisierten Welt in Windeseile. Sie betrifft uns und alle Menschen. Wir leben nicht auf einer Insel der Seligen. Alle sind Teil der einen Welt. In einer Welt in der die Bäume in den Himmel zu wachsen schienen, in der alles machbar und beherrschbar schien, zeigt uns die Pandemie eindrücklich, dass wir eben nicht alles im Griff haben. Sie zeigt uns die Verletzlichkeit und Begrenztheit unseres Lebens eindrücklich. Sie macht uns auch deutlich, dass Wachstum, Wohlstand und Gewinn keine Garantie für ein glückliches und sorgenfreies Lebens sind. Das ganze Lebenskonzept gerät durcheinander. Jeder einzelne Mensch und die ganze Gesellschaft ist in irgendeiner Form von den Folgen der Krise betroffen. Viele hoffen, dass es nach Ende der Pandemie weitergeht wie vorher. Leben hier und jetzt als einzige und letzte Gelegenheit – das ist die Perspektive, wenn der Himmel fehlt. Könnte nicht die gegenwärtige Krise ein Ruf zur Besinnung auf das, was wirklich trägt im Leben und im Sterben, sein? Könnte es nicht die Chance sein, das Leben auf eine tragfähigere Grundlage zu gründen? Menschen früherer Zeiten nahmen den Himmel in den Blick. Gerade in Krisenzeiten hielten sie an Gott fest. Das stärkte und tröstete sie. Von ihnen könnten wir lernen. In der Umkehr zum Vertrauen auf Gott erschließt sich eine neue Perspektive. Daraus erwachsen Lebenskraft und Lebenssinn. Mir fiel vor Monaten eine Aussage Martin Luthers die er vor rund 500 Jahren in einer Krisenzeit machte in die Hand. Ich meine, sie kann auch für uns heute ein hilfreicher Fingerzeit zur Ausrichtung unseres Lebens und zum Umgang mit der Krise sein. Luther schreibt: „Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man mich nicht braucht, damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werde. Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und ihm helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht.“
Das Gebet, die Beachtung von Vorsichtsmaßnahmen, medizinische Hilfe und tätige Nächstenliebe, vor allem aber Gottvertrauen und die Ausrichtung des Lebens auf Jesus Christus ist das Gebot der Stunde.
Michael Wehrwein
evangelischer Dekan i.R., Lohr a.Main