Ich war auf dem Weg zu einer Besprechung und bereits einige Kilometer mit meinem Motorrad unterwegs, als mir plötzlich klar wurde: „Volker, Du hast mal wieder Deine Maske vergessen!“. Schlau wie ich bin, fuhr ich in Gemünden zu einer Apotheke. Doch als ich davor stand, wurde mir bewusst: „Ohne Maske darf ich da gar nicht rein!“ Zwar hätte ich die Apotheke auch mit der Vermummung durch meinen Motorradhelm betreten können, doch das hatte ich zuvor schon mal bei einer Tankstelle versucht und dabei festgestellt, dass das Personal ganz und gar nicht davon begeistert ist, wenn da plötzlich jemand im Bankräuber-Look vor ihnen steht.
Obwohl die Maskenpflicht nun schon einige Wochen alt ist kommt es immer wieder mal vor, dass ich vergesse, eine solche einzustecken. Denn fast 50 Jahre lang war ich es gewohnt, ohne Maske einkaufen zu können – und diese Gewohnheit ist eine Macht, die sich nicht von Heute auf Morgen ändern lässt.
Vermutlich haben darum auch einige Zeitgenossen so ihre Probleme mit der bedingungslosen Liebe Gottes, die ihnen in Jesus Christus begegnet. Denn in unserer Gesellschaft herrscht nun einmal das Prinzip der Leistungsorientierung: Wir sind es gewohnt, eine Zuwendung nur dann zu erhalten, wenn wir etwas dafür geleistet haben. Dieses Trimmen auf Leistung beginnt bereits im Kindergarten, vertieft sich in der Schule und setzt sich im Berufsleben fort. Unser Leben lang befinden wir uns im Rennen um die vordersten Plätze im „Wettlauf des Lebens“.
Und dann kommt Gott daher und gibt uns durch seinen Sohn zu verstehen, dass er uns bedingungslos liebt – ohne dass wir dafür auch nur einen Finger gekrümmt hätten! Im Buch der Offenbarung lädt dieser Gott uns ein: „Wer will, der trinke vom Wasser des Lebens; er bekommt es umsonst“ (Offb.22,17). Gott schenkt uns seine liebevolle Zuwendung frei von jeglicher Leistung, die wir zu erbringen hätten, um uns würdig zu erweisen oder um sie uns zu verdienen. Und dafür liebe ich ihn! Denn wie viele andere Menschen gehöre ich zu denen, die immer wieder versagen und hinfallen, die in unserer Leistungsgesellschaft eher durch die Lappen gehen. Müsste ich mir Gottes Zuwendung verdienen, so wäre meine Leistung vermutlich nicht einmal den Mindestlohn wert. Ich wäre verloren. So aber bin ich voller Staunen und Dankbarkeit dafür, dass Gottes Liebe denen gilt, die am Ende sind, die verzweifelt sind, die nicht mehr weiter wissen und nicht mehr weiter können, dass sie denen gilt, die aufgrund ihres Alters, ihres Handicaps oder ihrer Krankheit in unserer Leistungsgesellschaft durchfallen würden.
Die Macht der Gewohnheit ist stark – und dennoch ist es möglich, sie zu durchbrechen, alte Gewohnheiten aufzugeben und neue zu integrieren. Insofern habe ich die begründete Hoffnung, dass sich auch die Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes noch durchsetzen wird – und zwar auch bei denen, die es bislang gewohnt waren, sich alles zu verdienen.
Volker Halfmann
Pastor der Freien evangelischen Gemeinde Karlstadt