Bauherren, die sich an ein altes Gemäuer wagen, brauchen Mut und die Bereitschaft zu Kompromissen. Anders als beim Neubau auf der grünen Wiese muss man mit dem arbeiten, was schon da ist. Je nachdem, welche Überraschungen beim Entkernen zutage treten, wird man die Pläne nicht nur einmal ändern müssen. Vor allem aber muss man sich auf das einlassen, was frühere Generationen erdacht und erbaut haben, und daraus eine Vision für die Zukunft entwickeln.
Besonders anspruchsvoll wird ein solches Unterfangen, wenn es sich bei dem Haus um ein geschütztes Baudenkmal handelt. Am „Tag des offenen Dankmals“ öffnen sich jährlich am zweiten Septembersonntag die Türen historischer Gebäude für die Öffentlichkeit, heuer in digitaler Form und unter dem Leitgedanken „Chance Denkmal: Erinnern. Erhalten. Neu denken.“ Das eine Objekt mag dabei faszinieren durch die Wiederherstellung des Originalzustandes, ein andermal ist gerade die Erhaltung des Gewordenen interessant, wieder ein anderes beeindruckt durch die gekonnte Einbindung alter Substanz in ein neues Konzept.
Häuser sind vor allem deshalb interessant, weil sie etwas von Menschen erzählen. Je älter, desto mehr. Etwa davon, wie Menschen früher gelebt haben und welche Bedürfnisse sie hatten. Oder was man zu welcher Zeit schön und erstrebenswert fand. Auch davon, was sich im Lauf der Zeit geändert hat. Denn jede Generation hat ihre Spuren hinterlassen und so dazu beigetragen, dass dieses Haus wurde, was es heute ist.
Was sich an alten Häusern in längeren Zeiträumen vollzieht, das erlebe ich als Mensch wie im Zeitraffer auch an mir selbst. Da sind in jungen Jahren die Ideen von der eigenen Zukunft, gewissermaßen der „Originalbauplan“. Da sind Ereignisse und Erlebnisse, die den Bau meines Lebens verändern, ihm das Eine hinwegnehmen und das Andere hinzufügen. Da ist meine Entwicklung im Denken und Empfinden, das mich heute auf so manches ganz anders blicken lässt als noch vor einigen Jahren.
Es gibt Momente der Bestandsaufnahme, des Innehaltens. Was ist bis heute aus mir geworden? Wie soll es weitergehen? In schwierigen Zeiten mag der Blick wehmütig über den „Originalbauplan“ streifen und der Wunsch erwachen, auf der grünen Wiese noch einmal ganz von vorne zu beginnen. Was, nüchtern betrachtet, freilich keine Option ist. Mit mir selber geht es mir ebenso wie den Bauherren mit dem alten Haus: Ich muss mit dem arbeiten, was schon da ist. Das heißt aber auch: Nicht irgendwo, sondern genau da, wo ich gerade stehe, beginnt meine Zukunft und mein kreativer Spielraum. Welche Potentiale sehe ich da, was will ich daraus machen?
Als Christ weiß ich, dass ich mein Leben nicht alleine planen und bauen muss. Gott hat seinen Plan mit mir. Und es ist ein spannendes und beglückendes Unterfangen, nach und nach diesem Plan auf die Spur zu kommen. Es hilft mir, mehr ich selbst zu werden. Geprägt von dem, was war. Gespannt auf das, was daraus noch werden kann.
Simon Schrott
Pfarrvikar in Karlstadt