Ich bete: Gott, das sollte nicht so sein. Vergib mir! Danke, dass ich trotzdem jetzt vor dich kommen darf. Es ist ein bisschen wie beim verlorenen Sohn, der zum Vater kommt mit seiner Schuld - und in die Arme genommen wird.
Es ist mir ein Bedürfnis, vor Gott ehrlich mein Herz zu öffnen und ich bin froh, dass der Gottesdienst mit einem Sündenbekenntnis beginnt. Nun gibt es aber auch Christen, die diesen Gottesdienst-Beginn nicht mögen. „Da wird man gleich zu Beginn in die Sünde getaucht und muss sich schlecht fühlen!“ Noch zugespitzter fand ich es in einem YouTube-Kommentar, den mir eine Schülerin zeigte:
„Das Christentum ist eine geradezu menschenverachtende Ideologie, der Mensch wird als grundsätzlich schlecht angesehen...“ - wettert da einer.
Allerdings: Wenn wir den Menschen grundsätzlich für gut halten, haben wir erst recht ein Problem. Denn warum ist es dem ach so guten Menschen dann bis heute nicht gelungen, dass Menschen wirklich gut miteinander umgehen? Und zwar auch dort nicht, wo zum Teil schon seit Jahrhunderten Religionen und Ideologien vorherrschen, die dem Menschen das Gute zutrauen. Auch ein positives Menschenbild liefert offensichtlich keine idealen Rahmenbedingungen. Da finde ich die christliche Sicht auf uns Menschen viel realistischer: Der Mensch ist von Gott gut geschaffen und geliebt. Er hat sich aber von Gott weggewandt. Das illustriert die Geschichte mit Eva und der Schlange im Garten Eden treffend. Und es betrifft auch uns heute noch. Sie können das bei sich selbst überprüfen und sich fragen: „Will ich wirklich einen Gott über mir haben, der mir Vorschriften macht oder meine Fehler aufzeigt?“ Nein, irgendetwas sperrt sich da. Gott aber sieht den Menschen laut Bibel trotzdem liebevoll an! Jesus Christus streckt die Hand aus und sagt: „Schlag ein! Ich bring dich in den Himmel. Ich kann, was du nicht kannst.“ So ist der Anfang des Gottesdienstes für mich eine Art Seelenhygiene. Ich freue mich, dass ich ehrlich und unvollkommen sein darf. Die Gerechtigkeit des himmlischen Vaters und die Vollkommenheit von Jesus Christus bleiben aber immer Orientierungspunkte für mich. Ich werde weiter danach streben und bin gehalten, anderen geradlinig und in verzeihender Liebe zu begegnen. Was mir dabei diese Woche nicht gelingt, werde ich im nächsten Gottesdienst wieder vor Gott bringen.
Adelheid Augustin, Religionslehrerin Florentini-Schule Gemünden und Pfarrerin in Hammelburg