Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben, schrieb Hermann Hesse. Und es gibt Zeiten, in denen wir besonders empfänglich sind für diesen Zauber. Der Advent ist so eine Zeit. Anfang eines neuen Kirchenjahres. Das Licht scheint in der Finsternis, heißt es im Johannesevangelium. Gott kommt in die Welt. Die wartet. Der erste Adventskranz bestand aus einem Wagenrad, auf dem 4 große weiße und 20 kleine rote Kerzen angebracht waren. Er leuchtete im „Rauhen Haus“, einem Heim für Kinder, die Pastor Wichern von der Straße oder aus ärmlichsten Unterkünften geholt hatte, um ihnen ein menschenwürdiges Zuhause zu geben. Sie erlebten mit großen staunenden Augen, wie es mit jeder entzündeten Kerze heller und wärmer wurde. Eigentlich ein wunderschönes Bild dafür, dass auch im Leben dieser Kinder die Dunkelheit langsam weichen musste. Sie entdeckten sich als Menschen, geborgen und geliebt, begabt und in die Welt gesandt.
Sie werden diese zauberhaften Lichtmomente sicher nie mehr vergessen haben. Glücklich der Mensch, dem solche heilenden Bilder einmal geschenkt wurden. Denn sie können immer wieder aufsteigen aus den Tiefen der Erinnerung und ihre Lichtkraft entfalten.
Ein Heiliger Abend. Vor Corona. Der erste Gottesdienst dieses Tages wird in unserem örtlichen Pflegeheim gefeiert. Der Posaunenchor spielt und am Ende verteilen die Konfirmanden kleine Präsente an die Bewohner. Für die Jugendlichen ist es eine besondere Erfahrung. Und man merkt es ihnen an. Sie sind getroffen von dem, was sie sehen.
Da ist eine alte Frau. Zusammengesunken auf ihrem Stuhl und scheinbar teilnahmslos erlebt sie den Gottesdienst. Ein Mädchen tritt zu ihr. Verlegen und ratlos sieht sie aus. Was soll ich tun – diese Frage steht ihr ins Gesicht geschrieben. Dann fasst sie sich ein Herz. Oder vielleicht sollte ich sagen: hört sie auf ihr Herz. Sie nimmt vorsichtig, fast zärtlich, die Hand der alten Frau. Und legt behutsam das kleine Präsent hinein. Die alte Frau hebt den Kopf. Überrascht sieht sie aus, nicht erschrocken. Als hätte es lange schon auf diese Gelegenheit gewartet, erscheint ein Lächeln auf ihrem Gesicht: „Danke“, sagt sie. Ich habe diesen Moment noch heute greifbar vor Augen. Bezaubernd menschlich war er, Und hat sich eingeprägt. Nach den Weihnachtsferien haben die Konfirmanden Gelegenheit zu erzählen - von ihren Erfahrungen am Heiligen Abend im Pflegeheim. Und vieles ist noch präsent. Lebt auf der Seele. Das Mädchen erzählt, als die alte Frau sie anlächelte, sei es ihr ganz warm geworden. „Da oben“, sagte sie und legt die Hand auf ihr Herz.
Ich glaube, wir Menschen spüren sehr genau, wo und wann wir unserer eigentlichen Bestimmung ganz nahe kommen. Das sind dann die Momente, die bezaubern. Die bestärken und ermutigen. Uns daran erinnern, was in uns steckt. Denn wie sagte Jesus, der Mann aus Nazareth: Ihr seid das Licht der Welt.
Pfarrer Michael Nachtrab
Evangelischer Pfarrer in Partenstein