Wir brauchen eine Öffnungsperspektive. – Dieser Ruf ist in den vergangenen Wochen immer lauter geworden. Vorgetragen wurde er von Menschen, die durch die aktuell notwendigen Einschränkungen ihre wirtschaftliche Existenz bedroht sehen oder überhaupt von den zusätzlichen Belastungen besonders hart getroffen sind. Kluges Abwägen ist gefragt und eine verantwortete Entscheidung alles andere als einfach. Doch auch unabhängig von den konkreten Forderungen nach Lockerungen des Lockdowns hat der Satz etwas Wahres: Wir brauchen eine Öffnungsperspektive.
Wir Menschen gehören zu jenen Lebewesen, deren Augen nahe beieinander liegen und in dieselbe Richtung weisen: nach vorne. Diese biologische Vorgabe steht in enger Verbindung mit unserem inneren Wesen. Der Mensch ist einer, der nach vorne schaut. Nicht die Rundumübersicht ist seine Stärke, sondern die Ausrichtung auf ein Ziel, das vor ihm liegt. Wo Perspektiven fehlen oder wegbrechen, leidet der Mensch.
Die Fastenzeit ist eine Zeit mit Öffnungsperspektive. Nicht nur, weil an Ostern das Fasten ein Ende hat. Vielmehr noch liegt im Ostergeschehen selbst, also in Jesu Tod und Auferstehung, die große Öffnung: Eröffnung neuen, befreiten und geheilten Lebens. Dabei erinnern die Evangelien daran, dass diese Öffnung nicht erst irgendwann am Ende geschehen wird, sondern im Hier und Jetzt beginnen will.
Im Vorausblick auf den Ostersieg Jesu und das neue Leben, das sich in der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen auftut, ermutigt die Fastenzeit, ehrlich und ohne Scheu auf sich selbst zu schauen und zu fragen: Welche verschlossenen Räume gibt es in mir? In meiner Beziehung zu anderen Menschen? Sind vielleicht schon „Gräber“ daraus geworden? Wo habe ich selbst Mauern hochgezogen? Wo werden mir Türen versperrt? Was möchte (wieder) lebendig werden? Was sehnt sich in mir nach neuer Offenheit und Weite?
Das große Ostern bietet eine Öffnungsperspektive für die letzten Fragen unseres Lebens. Das kleine Ostern, Auferstehung mitten im Leben, beginnt genau schon hier – beispielsweise mit diesen Fragen. Sie können Ausgangspunkt für ganz persönliche Öffnungen sein, für mehr Leben und Lebendigkeit. Wie oft bleiben Lebenstüren verschlossen, weil wir gar nicht mehr daran denken, dass sie sich öffnen lassen oder dass sie überhaupt da sind? Österliche Menschen sind Menschen mit Öffnungsperspektive im Großen und im Kleinen. Und bei mancher Öffnung hängt es nur davon ab, dass wir es anpacken. Tut sich da vielleicht gerade eine Perspektive auf?
Matthias Eller
Kath. Pfarrvikar in Hafenlohr