Ich war zusammen mit meiner Frau in den letzten Wochen jeweils für ein paar Tage in den Niederlanden und bei Freunden in Österreich. Es war hochinteressant, zu erleben, dass in diesen Tagen unterschiedliche Corona-Verhaltensregeln gelten und wie unterschiedlich die Menschen jeweils mit der Situation umgehen. Es hat meinen Blick auf die eigene Lage hier geweitet und gleichzeitig die Unsicherheit vergrößert: Was ist denn jetzt sinnvoll, was überzogen? Wer handelt fahrlässig, wer verantwortungsvoll? Wer macht es ‚besser‘ und wer übertreibt? Wer kann das überhaupt wissen und entscheiden? Welche Maßstäbe sollen gelten, welche Werte sind uns wichtig?...
Ich merke einerseits, wie schwer es ist, überzeugende Antworten auf die vielen Fragen zu geben. Es gibt natürlich verschiedene Sichtweisen. Andererseits möchte ich derzeit auch nicht in der Haut von Verantwortlichen stecken, die Entscheidungen treffen müssen. Denn ganz egal, wie und was sie entscheiden, in den Augen vieler wird es unnötig oder falsch sein.
Hinterher sind wir Menschen schon immer schlauer. Das wird dieses Mal nicht anders sein. Und selbsternannte Besserwisser gab es auch zu allen Zeiten; daran mangelt es nie.
Bei unseren Heimfahrten hat sich mein Gefühl verstärkt, dass offensichtlich alle nur möglichst schnell wieder dorthin wollen, wo wir Anfang des Jahres waren. Die Ungeduld und das Unverständnis wachsen. Die alten Ansprüche blühen nach der Schockphase wieder neu auf. Von Veränderungen oder Erneuerung ist wenig zu sehen.
Den großen Reden „Nach Corona wird die Welt eine andere sein“ habe ich von Anfang an misstraut. Natürlich soll sich etwas verändern, aber bitteschön: Ohne dass ich etwas – in meinem Denken und Tun - ändern müsste! Resignation und Hoffnungslosigkeit beschleichen mich immer wieder.
Auch Kirche enttäuscht mich in vielen Punkten, weil sie bei mir den Eindruck erweckt, dass sie sich fast nur um sich selber dreht und es ihr – bei allen positiven Ansätzen - zu einseitig um Gottesdienste geht. Aber damit erreicht sie ja praktisch nur noch einen Bruchteil ihrer Mitglieder.
Müsste sie nicht vielmehr Anwalt der durch die Corona-Krise aufgeworfenen, grundlegenden, auch unangenehmen Fragen nach einer guten, anderen Zukunft sein?
Müsste nicht gerade sie die ehemals ‚heißen Eisen‘ wie zB die langfristig spürbare Wertschätzung und bessere Entlohnung unterbezahlter Berufsgruppen warmhalten?
Müsste nicht gerade sie Anwalt der in diesen Tagen zu schnell vergessenen oder ausgeblendeten Menschen und Themen bei uns hier und in der großen weiten Welt sein?
Meine Antwort ist ein eindeutiges JA!
‚Umkehr‘ ist schon immer ein beliebtes Thema von Kirche; das beinhaltet ‚Abkehr von…‘ und ‚Hinkehr zu…‘. Es wäre ein ermutigendes, glaubwürdiges Zeichen, wenn sich Kirche deutlicher um die Fragen nach dem Leben und der Zukunft der Menschen sorgen würde und sich auch bei sich um diese Umkehr bemühen würde.
Ich jedenfalls möchte mit meinen Möglichkeiten und mit Gottes Hilfe ein solcher Anwalt sein und mein JA einlösen!
Reinhold Grimm
Pastoralreferent
Religionslehrer an der FOSBOS Marktheidenfeld
Mitarbeiter in der Pfarreiengemeinschaft St. Laurentius & im Pastoralen Raum Marktheidenfeld
Marktheidenfeld