Wie schon seit vielen Jahren, wird auch heuer am letzten Wochenende im Oktober die Uhrzeit wieder eine Stunde zurück gestellt. Warum wir dadurch eine Stunde gewinnen, obwohl wir doch zurückgehen, bleibt geheimnisvoll. Ebenso das „Gewinnen“, denn genaugenommen bekommen wir ja nur den Vorschuss zurück, den wir der Zeit im März als Kredit gegeben haben. Die ganze Zeremonie führt regelmäßig zu heftigen Diskussionen und eigentlich ist es längst beschlossen, die Umstellung abzuschaffen. Das wirft aber plötzlich ganz neue Fragen auf, vor allem die, ob es dann immer eher „Sommer“ oder „Winter“ bleiben soll.
Dabei ist die Uhrzeit überall auf der Welt ein Kompromiss. Er wurde nötig, weil man im Bahn- und später auch im Flugverkehr eine verlässliche Regelung gebraucht hat. Seitdem kann man um 07.00 Uhr nach New York fliegen und um 13.00 Uhr dort ankommen, obwohl man zwölf Stunden im Flugzeug saß. Dafür kommt man beim Rückflug erst achtzehn Stunden später an, obwohl man genauso lange geflogen ist. Uhrzeit ist also immer ein bisschen relativ, eine nicht ganz willkürliche aber doch ziemlich vergröberte Festlegung zur besseren Berechnung und Absprache von Terminen.
In der Natur gibt es keine Uhrzeit. Dort geschieht Zeit im Sinne von wiederkehrenden Rhythmen. Das beginnt beim Wechsel von Tag und Nacht, über den Wandel des Mondes und der Jahres-Zeiten bis hin zu den Ge-Zeiten von Ebbe und Flut. Für unsere Vorfahren war es eine wichtige Entdeckung, diese Rhythmen zu erkennen und vorhersehen zu können. Danach bestimmten sich Aussaat und Ernte, das Auslaufen der Schiffe und der Aufbruch zur Jagd. Heute genügt es uns nicht mehr, nur zu wissen, wann die Sonne untergeht oder die nächste Flut kommt. Heute soll uns immer alles zur Verfügung stehen. Dann machen wir die Nacht zum Tag, wir fliegen zum Aufwärmen in die Südsee und wenn wir Appetit haben, lassen wir uns mitten im Winter saftige Erdbeeren schmecken. Das nehmen wir uns dann als Belohnung, weil die vielen Termine und der ständige Zeitdruck eine ziemlich harte Belastung bedeuten. Das beschleunigt umgekehrt einen Kreislauf, der wiederum für andere Belastung bedeutet und den wir insgesamt als Wachstum bezeichnen. Am Anfang war die Uhr ein Hilfsmittel für den Menschen, heute gibt sie den Takt vor, nachdem wir zu funktionieren haben. Wenn wir sie an diesem Wochenende für eine Stunde anhalten, dann liegt darin die Chance, auch unserer inneren Uhr einen Augenblick Pause zu gönnen. Die Bibel kennt das schöne Wort von der „erfüllten Zeit“. Das passiert eben nicht durch einen „gefüllten Terminkalender“, sondern im Gegenteil, wenn ich die Zeit meines Tages wie ein Gefäß betrachte, in das ich mit der Zeit wertvolle Augenblicke sammle und hineinlege. Dass uns diese Winter-Zeit, inklusive der zurückgewonnenen Stunde, eine „erfüllte Zeit“ werde, das wünscht von Herzen
Thomas Wollbeck
Pfarrer im Pastoralen Raum Karlstadt

